Postwachstum im Café kaputt
Wir freuen uns über regen Austausch im Café kaputt zum Andersmachen im Kleinen und Großen, über politische und persönliche Ideen sowie Gesellschaftsentwürfe.
Kaputte Dinge zu reparieren statt neue zu kaufen, widerspricht eigentlich unserem aktuellen Wirtschaftssystem. Denn dieses ist auf stetiges Wirtschaftswachstum angewiesen. Je mehr wir konsumieren, umso mehr wächst die Wirtschaft. Dabei gibt es jedoch immer Verlierer*innen – sei es die Umwelt oder ärmere Menschen, hier vor Ort oder weit weg und damit außerhalb unseres alltäglichen Blickfelds. Auf unserer Seite Warum reparieren haben wir die zahlreichen Nachteile und Ungerechtigkeiten, die dadurch entstehen, bereits beschrieben.
Wir müssen also grundsätzlich unsere Wirtschaft ändern, damit Reparieren auch im Großen und Ganzen wieder Sinn macht. Einige interessante Ideen für solch eine Veränderung kommen aus der Postwachstums- und Degrowth-Bewegung. An diese Ideen knüpfen wir mit unserem Reparaturcafé und Bildungsprojekt an.
Das Café kaputt verstehen wir dabei als einen Ort der gelebten Utopie. Dabei haben wir jedoch nicht die eine feste Vorstellung von einer Zukunft im Kopf, die hier schon gelebt werden soll. Vielmehr soll das Café kaputt ein Ort zum Experimentieren mit Ideen für eine gemeinsame Umgestaltung der Gesellschaft sein. Dabei sollen möglichst viele Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen mitmachen.
Die verschiedenen Strömungen der Postwachstums- oder Degrowth-Bewegung gehen davon aus, dass weltweite soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung der ökologischen Grenzen unseres Planeten nur möglich sind, wenn wir eine Wirtschafts- und Lebensweise entwickeln, die nicht auf stetiges Wachstum angewiesen ist.
Hier stellen wir Euch einige Thesen vor, die wir bedenkenswert und inspirierend finden. Darunter findet Ihr jeweils einen interessanten Link zum Weiterlesen:
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So genanntes „grünes“ oder „nachhaltiges“ Wachstum durch technische Innovationen ohne Kosten für Mensch und Umwelt ist nicht möglich. Wachstum und Steigerung des Wohlstands lässt sich auf unserem Niveau nicht von seinen Folgen für Mensch und Umwelt entkoppeln. (Weiterlesen: GEO-Artikel: Sind Wachstum und Umweltschutz vereinbar?)
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Es gibt Studien in der Glücksforschung, die zeigen, dass ab einem gewissen Einkommensniveau in wohlhabenden Gesellschaften keine weitere Steigerung des individuellen Wohlbefindens stattfindet. (Weiterlesen: Artikel: Glück und Wohlstand messen)
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Es ist beobachtbar, dass mehr Wachstum in einer Volkswirtschaft nicht zu weniger Ungleichheit und Armut führt. (Weiterlesen: Heinrich-Böll-Stiftung: Entwicklung der Einkommensverteilung)
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Wachstum wird üblicherweise mit Hilfe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen. Unsere Wirtschaft ist so aufgebaut, dass Ereignisse wie Autounfälle oder Naturkatastrophen, die eigentlich negativ sind, das BIP steigern. Es ist absurd, dass diese Maßeinheit gleichzeitig als Indikator für Wohlstand gilt. (Weiterlesen: Methode für die Arbeit mit Gruppen: Wachstumsquartett)
Die große Frage ist natürlich, wie ein alternatives System des Wirtschaftens aussehen und funktionieren könnte. Das lässt sich sicher nicht allein am Reißbrett entwerfen, sondern muss immer wieder praktisch erprobt werden. Trotzdem lohnt es sich, erst einmal darüber nachzudenken. Deshalb findet Ihr hier einige spannende Ideen und Empfehlungen zum Weiterlesen.
Niko Paech: Postwachstumsökonomie
Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech schlägt eine „Befreiung vom Überfluss“ vor. Er will das Wachstumsdogma unserer Gesellschaft durch eine Suffizienz- und Subsistenzstrategie ersetzen. Das hieße, sich mit weniger Konsum zufrieden zu geben (Suffizienz), eine Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung (Subsistenz) zu finden – zum Beispiel mit Hilfe von Reparaturcafés und Nachbarschaftsgärten –, und durch Regionalökonomie, Geld- und Bodenreform sowie eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 20 Stunden Erwerbsarbeit die dafür nötigen Strukturen zu schaffen.
Zum Weiterlesen:
Homepage von Nico Paech
Simon Sutterlütti und Stefan Meretz: Commonismus
Die beiden Autoren laden in ihrem Buch dazu ein, neu über Utopie und den Weg zu einer Transformation der Gesellschaft nachzudenken. Grundlage ihrer Idee einer neuen Gesellschaft sind so genannte Commons, die schon aus früheren Zeiten bekannt sind. Damals gab es bspw. in vielen Dörfern Schafweiden, die von allen Bewohner*innen genutzt werden durften. In ihrer Gesellschaftsutopie sind nicht mehr Mechanismen des Marktes (Tausch und Eigentum an Produktionsmitteln) dominant, sondern die Prinzipien von freiwilliger Beteiligung und Mitarbeit sowie kollektiver Verfügung über die dabei entstehenden Lebens- und Reproduktionsmittel. In theoretisch wohl informierter Feinheit arbeiten die beiden einen sehr interessanten Gesellschaftsentwurf aus und denken sehr genau über den Weg dorthin nach.
Zum Weiterlesen:
Simon Sutterlütti und Stefan Meretz: Kapitalismus aufheben - Eine Einladung über Utopie und Transformation nachzudenken
Buen Vivir: Ein gutes Leben für alle!
Anfang der 1990er Jahre begann in der indigenen Gemeinde Sarayaku in Ecuador ein kollektives Nachdenken darüber, wie Menschen untereinander und mit der Natur gut zusammen leben können. Der Anlass dafür war die Konfrontation mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung, das im Anschluss an den Brundtland-Bericht von den Akteur*innen der internationalen Zusammenarbeit vertreten wurde. Mit dem Ziel, die eigene Identität, Kultur und Lebensweise zu bewahren, wird seither Buen Vivir als Alternative zum Konzept der Entwicklung verbreitet. Dabei spielen das spirituelle Element, die Verbundenheit mit dem Territorium und die Forderung nach Selbstbestimmung eine zentrale Rolle. Ziel ist eine Zufriedenheit aller Mitglieder der Gemeinschaft, die sich gleichermaßen auf die materielle, soziale und spirituelle Ebene bezieht. All dies innerhalb der Grenzen, die durch den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen gesetzt sind. Buen vivir wird auch als „Zusammenleben in Vielfalt und Harmonie mit der Natur“ verstanden, wie es in der Präambel der ecuadorianischen Verfassung inzwischen heißt.
Zum Weiterlesen:
Eduardo Gudynas: Buen vivir - Das gute Leben jenseits von Entwicklung und Wachstum
Ulrich Brand und Markus Wissen: Imperiale Lebensweise
Die Bevölkerung des globalen Nordens mit ihrem sehr hohen Konsumniveau lebt, so die beiden Autoren, immer noch auf Kosten anderer Länder. Europa und Nordamerika nutzen die Ressourcen und günstigen Arbeitskräfte in Ländern des globalen Südens, während gleichzeitig die zerstörerischen Konsequenzen ihres Wirtschaftens oft vor allem diese Länder treffen. So bleiben die negativen Folgen für die sogenannte „westliche“ Bevölkerung häufig unsichtbar. Diese ungleichen globalen Machtverhältnisse sind letztlich eine neue Form des Kolonialismus.
Für viele Menschen ist der mit der imperialen Lebensweise verbundene Wohlstand und Überfluss attraktiv. Jedoch werden niemals alle Menschen so leben können. Die ökologischen und sozialen Kosten der imperialen Lebensweise werden nach außen verlagert – es muss also immer ein Außen geben. Für die Bevölkerung des globalen Nordens ist diese Lebensweise so tief in Alltagsroutinen, Normen und Gesellschaftsstrukturen verankert, dass sie kaum in Frage gestellt wird und sich so weiter fortsetzt.
Zum Weiterlesen:
I.L.A. Kollektiv: Auf Kosten anderer? Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert
Frigga Haug: Die Vier-in-einem-Perspektive
Mit der Vier-in-einem-Perspektive stellt Frigga Haug einen Entwurf zur Veränderung des gesellschaftlichen Zeitregimes vor: Eine radikale Verkürzung der im Erwerbsleben verbrachten Zeit soll Räume für die gleichberechtigte Teilhabe aller an den Erfordernissen der menschlichen Reproduktion (menschliche Zuwendung, Pflege, Kinderversorgung), der politisch-gesellschaftlichen Meinungsbildung sowie der „Arbeit an sich selbst“ (Selbstausdruck) öffnen. Ihrer Idee nach hat ein „Arbeitstag“ sechzehn Stunden von denen jeweils vier für jeden der vier Bereiche aufgebracht werden könnten. Eine spannende Perspektive, die anregt darüber nachzudenken, was Arbeit bedeutet, alternativ bedeuten könnte und sollte und wem sie eigentlich dient. Im nächsten Schritt wirft das die Frage auf, ob eine radikal gleichberechtigte Verfügung über Zeit und ein neues Konzept von Arbeit in unserer Gesellschaft nicht auch direkt die Mitwirkung aller und damit die Demokratie stärken und strukturelle soziale Ungleichheit vermindern würde.
Zum Weiterlesen:
Sammelband zum Thema Zeitwohlstand
Homepage von Frigga Haug